Ausstellung

Ausstellung „Trümmer- Verteibung – Leben“

Die Öffentlichkeit wird weiterhin stark durch die Ereignisse der sog. Corona-Krise dominiert. Wie in einem Brennglas verdichten sich viele Fragen und Probleme der globalisierten Welt. In vielen Regionen verschärfen sich die Konflikte und Herausforderungen. So auch die unzähligen Wirren und Verwirrungen in den Ländern des Nahen Ostens. Die Staatskrise des Libanon und die damit einhergehende Bankenkrise lässt Menschen die Frage nach dem nackten Überleben stellen einhergehend mit Coronabeschränkungen; auch im Nachbarland Syrien ist die Inflation gewaltig und es wird ums Überleben gekämpft. Im Nordirak verschlimmert sich die humanitäre Situation der seit Jahren in Zeltlagern lebenden Geflüchteten durch den Lockdown. Schon viele Jahre ist die Region Krisenherd – in den meisten Ländern ist aus dem sog. arabischen Frühling ein arabischer Winter geworden, die Gewalttaten des IS werfen immer noch Schatten über die einzelnen Länder. Neue Konflikte, lokal wie international forciert, treiben Menschen in die Flucht inmitten lieblicher Landschaften, moderner Hochhäuser, hoffnungsvoller Wirtschaftsunternehmer … .

Die Fotoausstellung „Trümmer – Vertreibung – Leben. Eine Region in den Wirren der Geopolitik“ in den Räumen der Rottstr5, Kunsthallen in Bochum nahm an der Schnittstelle universitärer Forschung und Öffentlichkeit die komplexe, oft verworrene Situation auf. Fotos aus dem Libanon, Syrien, dem Nordirak und dem Iran waren als ein vielfältiger Spiegel der Lebensumstände zu sehen: direkte und indirekte Folgen des Krieges, Vielfalt neben Kalifaten, der Wiederaufbau neben Ruinen. Aber auch Spuren einer jungen Generation, die sich immer weniger mit alten Strukturen abfinden möchte.

Vier Vorträge bereicherten das zu Sehende um ihre je eigene Perspektive:

Gian Aldonani, eine junge jesidische Aktivistin der Hilfsorganisation Hawar und Mitglied im Vorstand des Zentralrates der Jesiden, eröffnete die Reihe. Sie berichtete authentisch und detailreich von dem Leben der jesidischen Minderheit im Sindschargebirge, gerade auch von den Frauen, die durch die Situation neu herausgefordert wurden. Die meisten jesidischen Familien, vor dem IS geflohen sind, verharren weiterhin in ihren Zelten und haben wenige Perspektiven; traumatisierte Kinder sind oft nur schwer in den Lebensalltag wieder einzugliedern. Die Hoffnung für diese Menschen schwindet in den Tagen eines nicht enden wollenden Lockdowns im Nordirak, der Hilfslieferungen nur schwer möglich macht. Stattdessen bombardiert die Türkei weiter Stellungen zur angeblichen Selbstverteidigung gegen Terroristen.

Dr. habil Kristin Platt, Leiterin des Instituts für Diaspora- und Genozidforschung an der RUB, rief nicht nur die Stationen des nunmehr neun Jahre dauernden Kriegs in Syrien samt seiner Verwirrrungen ins Gedächtnis. Vor allem fragte sie, wie sich die Menschen in diesen Zeiten kleiden unter der Überschrift „Jeans in Zeiten des Krieges? Gewalträume und Gewaltbilder“. Auch dahinein spielte die Frage nach den Frauen eine Rolle, die nicht als Frauen besonders vulnerabel sind, sondern verletzt und geschändet werden, weil es zur Systematik des Krieges gehört. Ob gerade auch neue Bewegungen und Rollenmuster sich beispielsweise in Syrien ausbilden, in dem Land, in dem unzählige junge Männer ihr Leben ließen oder das Land verließen, wird abzuwarten sein.

Emel Aydogdu, Theaterregisseurin, inszenierte eine performative Lesung mit Mitgliedern des Vereins Neu in Deutschland (NID). Als Absolventin der RUB und mittlerweile freischaffende Regisseurin arrangierte Emel die Geschichte von Xalaf, einem Familienvater aus dem Sindschargebirge, der vor dem IS floh und schließlich mit seiner Familie Zuflucht in einem der Camps fand. Diese Geschichte hat er Studierenden der Evangelisch-Theologischen Fakultät der RUB erzählt hat.

Gelesen haben Lamia Hassow, Issam Alnajm und Rawend Ali, die selbst aus der Region stammen und die eigenen Gedanken über ihre Flucht inmitten der Erzählung formulierten. Yeksa Bakircian mit ihrer eindringlichen und voluminösen Stimme untermauerte das Gesprochene eindrücklich.

Dr. Thomas Schmidinger, Dozent für kurdische Studien an der Universität Wien, der seit Jahren zu Syrien und dem Nordirak forscht, vor allem aber auch immer wieder in der Region selbst unterwegs ist, bildete den Abschluss. Er richtete seinen Blick auf das Leben jener Menschen, die nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anerkannt sind, sondern als sog. Internally Displaced People bezeichnet werden. Auch sie mussten ihre angestammten Heimatorte verlassen, aber sind von staatlichen Hilfsleistungen abhängig, die zumeist ausbleiben. Ihre Anzahl ist groß. So gehen Schätzungen davon aus, dass in Syrien mindestens genauso viele Flüchtlinge wie IDPs leben. Im Nordirak fallen auch die Jesiden unter IDPs, die aufgrund der Umstände nicht zurückkehren können.